Flusslandschaft Erft
Flüsse und Seen
Wenige Kilometer südlich von Bad Münstereifel entspringt – scheinbar unbedeutend und vielfach unbekannt – die Erft, ein Fluss, der zusammen mit dem Menschen seit Jahrhunderten seine Landschaft prägt. Intensive Nutzung des Flusses und der Landschaft, auch konkurrierende Interessen, Missstände und Konflikte verbinden die Geschichte mit der Gegenwart. Oft erst auf den zweiten Blick erschließen sich Vielfalt, Schönheit, auch Idylle dieser Flusslandschaft, die es zu entdecken lohnt.
Der Erft entsteht dort, wo bei den Ortschaften Frohngau und Holzmühlheim, gut 400 Meter über dem Meeresspiegel, Grundwasser aus dem Gebirge als Bach den Fuß der Eifel hinabfließt.
Zum Fluss geworden durchquert die Erft ab Euskirchen die flache Bördenlandschaft inmitten weiter Ackerflächen, fließt vorbei an Dörfern, kleinen Städten, Braunkohlenbaggern und Großkraftwerken, auch durch rekultivierte Landschaft mit neuen Wäldern und Seen. Nach 107 Kilometern mündet sie bei Neuss auf einer Höhe von nur noch 26 Metern über dem Meeresspiegel in den Rhein.
Der Gegensatz von Mittelgebirge und Tiefland, also von Eifel und Kölner Bucht bestimmen die landschaftliche Gliederung der Erftregion. Entsprechend zählt die Erft in ihrem Oberlauf zu den Mittelgebirgsgewässern, nach dem Verlassen der Eifel zu den Tieflandflüssen, deren Sohle aus kiesigem Material besteht. Die naturräumlichen Gegensätze spiegeln sich in den verschiedenen Lebensräumen der Pflanzen und Tiere wider. So sind der Oberlauf der Erft und ihre Nebengewässer in der Eifel von Natur aus die Heimat von Fischen, die schnell strömendes, frisches und sauerstoffreiches Wasser benötigen. Im Tiefland finden sich dagegen Arten, die eine gemächlichere Strömung oder ausgedehnte und tiefere Gewässer bevorzugen
Die Landschaft der Erft entstand, als vor rund 35 Millionen Jahren zwischen Eifel und Bergischem Land eine keilförmige Fläche des Rheinischen Schiefergebirges allmählich abzusinken begann. Es bildete sich ein Niederungsgebiet, in das Meerwasser von Norden mehrfach vordringen konnte. Das Meer und die Vorläufer der heutigen Flüsse hinterließen bis zu 1200 Meter mächtige Kies-, Sand- und Tonablagerungen, die mit Ende der Eiszeiten von Löss überdeckt wurden. Durch den Wechsel wasserdurchlässiger und undurchlässiger Schichten bildeten sich unterirdische Stockwerke, in denen große Mengen Grundwasser fließen. Zwischen den Schichten lagern Braunkohlenflöze, die vor 20 Millionen Jahren aus subtropischen Sümpfen und Wäldern entstanden. Die fruchtbaren Lössböden, Wasserreichtum, ein mildes Klima und schließlich die Braunkohle prägten die Entwicklung der heutigen Kulturlandschaft.
Etwa 700 mm Regen oder Schnee – das sind 700 Liter pro Quadratmeter – fallen durchschnittlich in jedem Jahr auf die Landschaft an der Erft. Die Niederschläge verteilen sich recht gleichmäßig, wenngleich die Sommer oft nasser sind als die Winter. Das wenig zu Extremen neigende Klima mit milden Winter- und mäßig warmen Sommermonaten ist angenehm für den Menschen und günstig für die Landwirtschaft. Ein Teil des Niederschlags verdunstet in die Atmosphäre. Insgesamt rund 5.000 Liter Wasser pro Sekunde strömen in zahlreichen Bächen und Flüsschen, die sich in der Erft vereinigen, dem Rhein zu. Ein weiterer Teil versickert und wird zu Grundwasser, aus dem Industrie, Landwirtschaft und öffentliche Trinkwasserversorgung ihren Wasserbedarf decken.
Die Nachweise erster Menschen im Erftgebiet sind 100.000 Jahre alt. Mehr oder weniger sesshaft wurden sie vor wenigen Tausend Jahren. Bereits die Römer begannen, Quellen zu fassen und Wasser aus dem Einzugsgebiet der „Arnapa“, wie sie die Erft nannten, über lange Leitungen nach Köln zu leiten.
Im Mittelalter entstanden in der Erftregion im Streit um Hoheitsgebiete zwischen Köln und Jülich zahlreiche Burgen, deren Gräben mit Wasser aus der Erft gespeist wurden. Viele ehemalige Burganlagen sind, umgebaut zu feudalen Wohnsitzen und Wasserschlössern, bis heute erhalten.
Schon ab dem siebten Jahrhundert wurde die Besiedlung des Erftgebiets allmählich dichter. Damit begann das Zeitalter der großen Rodungen mit weitreichenden Folgen. Niederschläge spülten seither Material von den ungeschützten Böden, das sich in der Niederung zu bis zu zwei Meter mächtigen Auenlehmschichten ablagerte und das Gefälle der Erft veränderte. Verbunden mit einem gezielten Wasseraufstau zum Betrieb der zahlreichen Mühlen führte dies zur Versumpfung des Erfttals und verheerenden Hochwässern. In der Mitte des 19. Jahrhunderts begann die neue Genossenschaft zur Melioration der Erftniederung, der Vorläufer des heutigen Erftverbandes, eine großangelegte Aktion zur Trockenlegung und Regulierung der Erft. Wehre, Gräben und Kanäle, insbesondere der Erftflutkanal fangen seit dieser Zeit Hochwasser auf und beschleunigen dessen Abfluss. Im Zuge der Erftmelioration, später durch die bergbauliche Absenkung des Grundwassers entstanden trockene, besiedel- und beackerbare Flächen. Damit wandelte sich die ehemals durch Grünland geprägte Erftniederung zur heutigen sehr fruchtbaren Ackerlandschaft.
Abwässer der Zucker-, Papier- und Textilindustrie führten im 20. Jahrhundert zu einer starken Verschmutzung des Erftwassers. Nach Wegfall der Betriebe, vor allem aber Dank der modernen Abwasserreinigung ist das Wasser der Erft heute wieder weitgehend sauber. Zur Mitte des 20. Jahrhunderts erforderte die großtechnische Gewinnung der Braunkohle ein weiträumiges Abpumpen des Grundwassers. Zum Ableiten dieses Sümpfungswassers, aber auch zum weiteren Hochwasserschutz wurde die Erft erneut ausgebaut. Zudem musste ihr Lauf mehrfach dem heranrückenden Tagebau weichen.
Heute ist die Erftregion eine dicht besiedelte Kulturlandschaft mit Siedlungen, landwirtschaftlichen Nutzflächen, Industrie- und Gewerbestandorten sowie dem Braunkohlenbergbau. Die Gewässer der Region müssen daher zahlreiche Funktionen erfüllen: Sie sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen, dienen den Menschen zur Freizeitgestaltung und Erholung, transportieren Sümpfungswasser und gereinigtes Abwasser, bewässern landwirtschaftliche Nutzflächen oder treiben Mühlen und Aggregate an. Es ist die Aufgabe des Erftverbandes, diese vielfältigen menschlichen und ökologischen Bedürfnisse an der Erft in Einklang zu bringen.
Rückläufige Sümpfungswassereinleitungen erfordern in den kommenden Jahren eine Anpassung des Erftbetts an den künftig geringeren Abfluss. Die neuerliche Umgestaltung wird die Erft zu einem Gewässer entwickeln, das seinem ursprünglich natürlichen Zustand wieder näher kommt.
aus dem Buch:
„Wasserlandschaften entlang der Erft“, Hrsg. Erftverband, J.P. Bachem Verlag Köln (2013), leicht verändert